Kanalkommentar vom 28. Juni 2004
Das war nun das EM-Viertelfinale. "Ich werde von meinem Amt zurücktreten",
sagte nach der Vorrunde Rudi Winzig in der letzten DFB-Pressekonferenz aus
dem deutschen EM-Quartier. Weitere Kollegen sind seinem Beispiel gefolgt.
In Italien, Spanien und Kroatien versucht man es ebenfalls mit neuen Übungsleitern.
Auch die Stühle der im Viertelfinale gescheiterten Nationaltrainer wackeln
bedenklich. Die Suche nach einem Rudi-Nachfolger gestaltet sich jetzt schon
schwierig: Mayer-Vorfelder will seinen Spezi "Schneenäschen" Christoph
Daum, Kaiser Franz seinen Freund Ottmar ins Amt hieven. Hitzfeld ziert sich
noch und will ein Jahr Pause machen. Vermutlich wird der DFB einen Interimscoach
präsentieren. Im Gespräch sind Werner Lorant und Rudi Gutendorf.
Mit Portugal und Griechenland haben sich die Mannschaften des Eröffnungsspiels
in die Vorschlussrunde gespielt. Wer hätte wohl zu diesem Zeitpunkt
daran gedacht? Mit Spanien, Italien, England und Frankreich sind absolute
Top-Favoriten vorzeitig gescheitert. Mit Holland, Portugal und Tschechien
musste man rechnen. Die EM 2004 wird dennoch als Europameisterschaft der
großen Überraschungen in die Fußball-Historie eingehen.
Die wohl größte Sensation vollbrachten die Hellenen mit ihrem
deutschen Rehakles gegen den amtierenden Titelträger Frankreich. Das
gezeigte Niveau der Spiele war durchaus beachtlich. Es wurde schnell und
schnörkellos nach vorne gespielt. Der Befreiungsschlag auf die Tribüne
war mega-out. Die technischen Fähigkeiten vieler Teams waren überdurchschnittlich.
Und auch die Torquote lag über dem Soll. Zumeist wurde fair mit dem
Gegenspieler umgegangen, sieht man einmal von Tottis widerlicher Aktion ab.
Es gab bisher viele spannende Spiele mit wechselnder Torfolge, Partien an
die man sich noch lange erinnern wird. Leider trug unser Team nicht zu diesem
insgesamt sehr positiven Zwischenfazit bei. Immerhin gab es keine Ausschreitungen
der Fans oder andere Skandale. In der Schweiz wunderte man sich beispielsweise,
wie locker man in Deutschland mit dem Scheitern des eigenen Teams umgegangen
ist und schnell zur Tagesordnung überging. Was sollte denn passieren?
Sollten wir uns alle erschießen, nur weil elf Blindfische mit einem
Adler auf der Brust nur zweimal ins Tor trafen?
Die EM-Bar hat sich auf vier leckere Getränke reduziert. Ein Ouzo sollte
in keinem Kühlschrank mehr fehlen. Auf den gehaltvollen Portwein schwören
besonders die gastgebenden Tavernenbetreiber. Roter Genever aus frisch gepressten
Gen-Tomaten lassen das Herz jedes ernährungsbewussten Trinkers höher
schlagen. Als letztes Getränk durfte natürlich das frisch gezapfte
"Budweiser" nicht fehlen. Prosit!
Durch die vielen Überraschungen des Viertelfinals hat das EM-Tippspiel
für fast alle Teilnehmer jetzt schon fast fertig. Auch das ist eine
neue Erfahrung. Wir können also nunmehr völlig entspannt die letzten
drei Spiele genießen.
Portugal – England
Auf dieses Spiel sind wir ja bereits kurz in unserem Test-Protokoll unseres
Kieler-Woche-Rundgangs eingegangen. Eine tolle Partie, die keinen Verlierer
verdient hätte. Leider erwiesen sich die Limies als überaus schlechte.
Wer dem Schweizer Schiedsrichter vorwirft, einen Bodycheck gegen den portugiesischen
Torwart in dessen Fünfmeterraum als Foulspiel abzupfeifen, der sollte
doch noch mal im Regelbuch der Sportart Fußball (nicht Rugby) nachschauen.
Natürlich war auch der Elfmeterpunkt "zu weich", die Nacht zu dunkel
und das Flutlicht zu hell. Was soll dieses Rumgeheule? Mrs. Beckham hat doch
schon auf dem Platz genug geflennt. Schade nur für den jungen Rooney.
Man hätte ihm einen glücklicheren Abgang von der EM-Bühne
gegönnt: Starke Leistung – wir freuen uns auf weitere Auftritte!
Frankreich – Griechenland
Ab Freitag ist es amtlich: Die olympischen Spiele werden niemals pünktlich
eröffnet werden können. Seit knapp zwei Wochen liegen die griechischen
Bauarbeiter im Delirium und gucken ansonsten nur noch Fußball. Daran
ist alleine ein rüstiger Rentner aus Deutschland schuld – und ein Bundesligaspieler,
der vor kurzem mit Werder Bremen das Double feiern durfte. Otto Rehhagel
und Angelos Charisteas stehen somit für die "Werderisierung" des internationalen
Fußballs: Statt (satte) Stars Teamgeist, statt 1:0-Mentalität
munterer Offensivgeist, statt Millionengagen letzter Einsatz für die
eigene Mannschaft. Es ist schön, dass es so etwas (manchmal) noch gibt.
Diese letzte Illusion des Fußballs sollten wir uns bewahren. Frankreich
wollte sich tatsächlich ins Halbfinale verwalten. Diese Leistung ist
eigentlich nur dadurch zu erklären, dass die Froschfresser vor der EM
ein geheimes gemeinsames Trainingslager mit unserem Team durchgeführt
haben. Im französischen Team machte sich die "deutsche Krankheit" breit:
Nur wer den Ball hat, bewegt sich – quer- statt Steilpässe – Spielaufbau
in Zeitlupe – anfällige Deckungsreihen – ideenloses Mittelfeld – Stürmer
ohne Durchschlagskraft. Der frühere Welt- und Europameister hat seinen
Zenit überschritten, nur keiner hat es bisher gemerkt – am allerwenigsten
sie selbst. Die WM 2002 war kein Ausrutscher, sondern Nachweis des spielerischen
Verfalls dieses einst großen Teams. Trainer Santini hatte anscheinend
nicht das Charisma, die vielen Stars noch einmal zu einer großen Mannschaftsleistung
zu motivieren. Jetzt wird auch in Frankreich mit einem neuen Trainer ein
tiefer Schnitt erfolgen. Das ist kein Grund zur Schadenfreude, sondern ein
Beispiel, wie schnell man Trends im modernen Fußball verpassen kann.
Wir können in Deutschland nicht nur ein Lied davon singen!
Schweden – Holland
Diese beiden Mannschaften präsentierten uns neunzig Minuten Rasenschach
vom Feinsten. Die bisher treffsichersten Torschützen ihrer Teams, Ibrahimovic
und van Nistelrooy, wurden von den Abwehrreihen weitgehend abgemeldet. Zwei
Tore konnten wir in der regulären Spielzeit genießen: Aus Aluminium
und je eines in jeder Hälfte des Platzes. Erst ab der neunundachtzigsten
Minute gaben die Holländer noch mal richtig Gas. In der Verlängerung
blieben sie weiter am Drücker, Schweden hatte aber mit zwei Alu-Treffern
glasklare Chancen auf den Sieg. Spannend war die Partie allemal. Die Namen
des schwedischen Trainerduos Söderberg / Lagerbäck erinnern auch
eher an Krimiautoren aus dem Lande Wallanders. Die Torschützen vom Dienst
traten erst beim Elfmeter-Schießen wieder in Erscheinung: Ibrahimovic
mit einer Beckham-Kopie in den Nachthimmel der Algarve, van Nistelrooy mit
Brachialgewalt ins Tor. Holland darf weiter vom zweiten Erfolg bei einem
großen Turnier träumen. Jetzt, wo sie auch in der Lage sind, nach
vier vergeblichen Anläufen auch mal ein Elfmeter-Schießen zu gewinnen,
sind sie ernsthafte Anwärter auf die zehn Kilo Silber. Schweden hat
in der Vorrunde mit schönem Offensivfußball überzeugt und
am Samstag viel Pech gehabt. Tack sa mycket og farväl!
Tschechien - Dänemark
Das Spiel war lange sehr offen, mit deutlichen Vorteilen der Pölser.
Als das eigene Tor nicht gelingen wollte und die Tschechen nach der Pause
mit der ersten Chance gleich das 1:0 durch Koller machten, ging die Ordnung
im dänischen Team verloren. Zwei sehenswerte, durch Stürmerstar
Baros abgeschlossene Konter machten dann leider schon früh den Deckel
zu. Der Unterschied zwischen den beiden Mannschaften lag alleine in der Klasse
und Kaltschnäuzigkeit der Stürmer. Tschechien hat das beste Offensivduo
dieser EM. Jetzt ist für unsere östlichen Nachbarn noch einiges
drin. Wir sind einmal gespannt, wie sich Ottos griechische Defensivkünstler
gegen Brückners Truppe schlagen.
Hoffen wir auf drei schöne Spiele bis zum nächsten Sonntag. Wir
Deutsche sind ja noch gut im Geschäft: Otto im Halbfinale, Schiri Merk
(so gut wie sicher) im Finale. Und die Bundesliga mischt auch kräftig
mit: Charisteas (Werder Bremen) und Koller (Borussia Dortmund) machten im
Viertelfinale entscheidende Tore. Wir sind also doch nicht so schlecht, sieht
man einmal von den deutschen Fußballern ab.
Eusebio!